Heft 1/1996, Magazin der Stiftung Baden-Württemberg und der Stiftung Demokratische Jugend Berlin
Ein Interview von Wolfgang Antes
Armin Torbecke, Jahrgang 1969, ist Vorstand des Deutschen Naturschutzrings (DNR), Arbeitsschwerpunkte sind: Jugendvernetzung, Lebensstile, Ökologische Steuerreform und öko-soziale Bildungsarbeit, seit 1992/93 im Kuratorium der Stiftung Leben und Umwelt/ Niedersachsen
Projektanträge an die Jugendstiftung, die sich mit ökologischen Zielsetzungen befassen, sind in den letzten Jahren rar geworden. Nimmt man die vergleichsweise spärliche Produktion an Praxisberichten- verglichen mit den 80er Jahren- zeichnet sich eine eher rückläufige Tendenz ab. Sehen sie hier eine rückläufige Trendwende oder eine Stabilisierung auf gutem Niveau?
Engagement im Jugendbereich hat immer einen gewissen Wellencharakter. Ein grundsätzlicher Aktivitätenrückgang entspricht jedoch nicht meinen Erfahrungen. So sehe ich z.B. hinsichtlich einer Verbindung von ökologischen mit entwicklungsorientierten Anliegen eine deutliche Zunahme von Aktivitäten. In jedem Fall reicht das bestehende Engagement aber nicht aus. Es ist sinnvoll und eine Aufgabe dieser Zeit, Gesellschaftsmitgestaltung und verantwortungsbewußtes Handeln von Jugendlichen auf allen Ebenen zu fördern.
Wenn es stimmt, daß über zwei drittel aller jungen Menschen ökologische Themen für sehr wichtig halten, wird diese Interesse von Bildungseinrichtungen, Schulen, Vereinen und Verbänden dann angemessen berücksichtigt?
Zwar haben in den letzten Jahren ökologische Themen in verschiedensten Bereichen verstärkt Einzug gehalten, jedoch ist dies, wie nicht zuletzt das Ausmaß offensichtlicher Umweltbedrohung deutlich macht, nicht annähernd ausreichend. Die ökologischen Interessen bei vielen Menschen und Umweltängste gerade bei Kindern und Jugendlichen anbetrachts dieser Probleme werden kaum wahr- bzw. ernst genommen. Weil in diesem Bereich wenig Handlungs- und Auseinandersetzungsmöglichkeiten geschaffen werden und auch politisch eine offensichtliche Visionslosigkeit besteht, kann das Gefühl persönlicher Hilflosigkeit entstehen. Menschen reagieren dann teilweise mit Verdrängen und manche schwimmen dann letztlich doch weiter mit dem großen Strom. Um dem entgegenzuwirken ist es dringend erforderlich, ökologische Themen, entsprechend ihrer gesellschaftsübergreifenden Bedeutung, in allen Bereichen zu thematisieren. So können Einzelpersonen und Gruppen aktiv darin unterstützt werden, sich mit ihrer Zukunft konstruktiv auseinanderzusetzen und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, um den Problemen zu begegnen. Sehr dringend ist die Notwendigkeit zu einem praxisbezogenen, ganzheitlich orientierten Lernansatz auch im staatlichen Bildungswesen von Kindergärten, Schulen und Universitäten.
Unsere Freizeitindustrie, die auf viele Jugendliche einen enormen Einfluß ausübt, ist konsum- und- luxusorientiert. Kann da Ökoarbeit konkurrieren?
Gerade in unserer Zeit wird auf breiter Ebene deutlich , daß hemmungsloser Konsum und das Wachstumsdogma wenig zu tun haben mit Zufriedenheit und einem ausgeglichenem Leben. Dies spüren, mehr oder weniger reflektiert, sehr viele Menschen in der Gesellschaft. Symptome hierfür sind auch Wohlstandskrankheiten wie Streß, phsychosomatische Beschwerden oder auch die Vereinsamung in Städten.
Wer glaubt heutzutage noch daran, daß uns der Wohlstand den wir anhäufen, letztendlich zufriedener macht?
Viele Menschen haben das Bedürfnis nach Harmonie mit der Natur, einem zukunftsfähigen, verträglichen Leben und nach mehr Mitmenschlichkeit. Umweltarbeit sollte und kann andere Werte und einen achtsamen Umgang mit der Natur, mit sich und den Mitmensachen erfahrbar machen und den qualitativen Unterschied von Wohlergehen statt Wohlstand verdeutlichen. Und sie bietet den Raum für verantwortungsvolles, ökologisches und soziales Handeln. Dadurch kann sie faszinieren und dem Einfluß einer luxusorientierten Freizeitindustrie sehr wohl standhalten. Allerdings ist es erforderlich, zukunftsweisende Ansätze in der Umweltarbeit auch gesamtgesellschaftlich noch viel entschlossener zu fördern und weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt Stiftungen haben hierbei eine große Bedeutung und Verantwortung.
Gibt es Projekte, Aktionen oder Methoden, die sie für besonders erfolgversprechend halten?
Viele Menschen fühlen sich betroffen von den zunehmenden Problemen und wollen aus dieser Betroffenheit heraus der Umweltzerstörung nicht länger tatenlos zusehen. Der erforderliche Mut, um neue Wege für die Zukunft zu beschreiten, auch entgegen bestehende Zustände, erwächst in erster Linie aus der ganz unmittelbaren Erfahrung, daß „Du selbst in der Lage bist, die sozialen und ökologischen Probleme sinnvoll anzugehen, und daß du dabei nicht alleine bist.“ Dies kann keine Theorie vermitteln- es geht um die praktische Erfahrung. Hierbei sind Aktivitätsformen wichtig, die eigenverantwortliches, selbstbestimmtes Handeln gerade von Jugendlichen ermöglichen. Formen, die den Rahmen geben, um der Situation ins Auge zu sehen, das eigene Leben zu gestalten und gegebenenfalls auch Unsicherheiten einzugehen. „Projektwerkstätten“ zum Beispiel sollen solche Zukunftsräume darstellen. Es gibt sie an rund 30 Orten in Deutschland. Dabei handelt es sich um feste Räumlichkeiten bzw. Einrichtungen inklusive der notwendigen Ausstattung, wie Büro, Übernachtungsmöglichkeit, Layoutwerkstatt und anderes. Sie stehen Jugendlichen dauerhaft offen. Sie, die aktiven Nutzer, sind es , die maßgeblich über das entscheiden, was läuft. Mit den Projektwerkstätten wird Raum geschaffen, um die eigenen Fähigkeiten, z.b. an Projekten und Aktionen, zu entwickeln und einzubringen. Lernen am eigenen Handeln ist hierbei ein wichtiges Grundprinzip. Die Wege der Zukunft, das ist klar, müssen von der heutigen Jugend kommen und umgesetzt werden. Wie aber sollen junge Menschen Wege ausfindig machen, wenn ihnen ein weitgehend geplanter Weg von der Schule bis zur Rente kaum Zeit läßt, um sich zu orientieren und die Karte, also ihr Umfeld und ihren Handlungsspielraum, zu studieren? Es liegt in unser aller Verantwortung, ob mit der jungen Generation Persönlichkeiten wachsen, die in der Lage sind, sich an einer positiven Vision zu orientieren oder lediglich an der nächsten düsteren Straßenecke. In „Projektwerkstätten“ und bei vielen Aktivitäten in der Jugendbewegung, zum Beispiel bei der Klimakampagne `95“ oder der Aktion „ Mobil ohne Auto“ entstehen über die gemeinsame Arbeit Kontakte zwischen Personen und Gruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Diese Praxisbezogene Vernetzungsarbeit ist wichtig, damit Themen, die in der Gesellschaft vielfach getrennt werden, in Bezug treten. Dann kann deutlich hervortreten, daß Umweltarbeit auch Friedensarbeit ist – zwischen den Menschen und mit der Erde, daß Lebensstiländerung Entwicklungsarbeit ist- für den Norden und den Süden, daß Ökologie Toleranz und Mitmenschlichkeit bedeutet. Zentral erscheint es mir in diesem Zusammenhang auch, daß Ansätzen „ anders zu leben und anders zu arbeiten“ noch mehr Beachtung gegeben wird. Alternativen für das ganz alltägliche Leben gilt es; zu entwerfen und bei sich selbst mit der Umsetzung zu beginnen. Es sollte eines der Hauptanliegen von Umweltarbeit sein, Wege zu schaffen, die ein ökologisch- und sozialverträgliches Verhalten bestimmend werden lassen für das ganz alltägliche Arbeiten und Zusammenleben. Derartige „Entwicklungsprojekte für den Norden" sollten Umweltengagement auf allen Ebenen, auch im politischen und verbandpolitischen Bereich, prägen. Es geht dabei auch um Glaubwürdigkeit umweltbewegter Menschen vor sich selbst und vor anderen. Wichtig sind dementsprechend besonders Projekte, wo Menschen begonnen haben, alternativökonomische Modelle umzusetzen. Hervorgegangen aus der Jugendumweltbewegung gibt es z.b. in Verden an der Aller Ansätze zu einem Verbund selbstverwalteter Betriebe und Einrichtungen. Ein kleiner Beginn, der fast überall möglich und sehr überzeugend ist, sind die Erzeuger- und Verbrauchergemeinschaften. Hierbei werden ökologische Nahrungsmittel aus der Region günstig, direkt vermarktet. Menschen, die im Kleinen realisieren, was im Großen erforderlich ist, sind Hoffnungsträger für einen gesellschaftspolitischen Wandel.
Wer ökologisch denkt, denkt in Zusammenhängen und erkennt dabei die Zwänge und Notwendigkeiten von Partnern aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Sehen sie hier mittel- und langfristig sinnvolle Alianzen oder eher traditionelle Feindschaften?
Eine zunehmende Kooperation ist dringend erforderlich, da Gesellschaft und Gesellschaftsveränderung alle Bereiche umfaßt. Das Thema ökologische Steuerreform und die Nachhaltigkeitsdiskussion verdeutlicht konkret, daß von der ökologischen Bedrohung alle Bereiche betroffen und gefordert sind. Hierbei zeigen sich viele mögliche Allianzen, gerade hinsichtlich Beschäftigungspolitik und der sozialen, bzw. entwicklungsbezogenen Komponente ökologischer Entwicklung. Auch im Jugendbereich gibt es sehr interessante Kontakte, z.b. zwischen der BUNDjugend, der IG- Metalljugend und der katholischen Landjugend- Bewegung. Der Deutsche Naturschutzring veranstaltet in diesem Jahr einen Kongreß gemeinsam mit dem Deutschen Sportbund, führt Gespräche mit Gewerkschaften und Schlüsselpersonen in der Politik. Sehr interessante Kontakte gibt es u. a. zum Verband der mittelständischen Unternehmen und im Bereich Umwelt und Entwicklung. Die Umweltbewegung steht mehr denn je vor der Herausforderung, darzustellen und umzusetzen, daß das ökologische Thema ein Schlüsselbegriff zukünftiger Entwicklungen auf allen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Ebenen ist. Indem sie aufrüttelte und Umweltbewußtsein schuf, hat sie in den letzten 30 Jahren einiges erreicht- nun aber muß sie noch stärker aufgrund ihrer positiven Perspektiven faszinieren. Konkret scheint es sich so zu entwickeln, daß die Umweltbewegung es als einen verbandsübergreifenden Aufgabenschwerpunkt erkennt, daß die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen die unmittelbare Bedeutung einer ökologischen Steuerreform und der globalen Nachhaltigkeitsdebatte für ihr spezielles Themenfeld erkennen und an der Umsetzung dieses Anliegens gemeinsam arbeiten. Es ist erforderlich, daß vermehrt themen und projektorientierte Kooperationen entstehen, quer durch alle politischen und gesellschaftlichen Bereiche. Nur so kann vermieden werden, daß die zukunftsorientierten Anliegen unserer Zeit weiterhin zwischen Lobby- und Machtinteressen und Parteigerangel zerredet werden. Leider jedoch ist Bewusstsein für eine solche gemeinsame, gleichberechtigte Zukunftgestaltung noch zu wenig vorhanden. Eine zentrale Frage ist, in wieweit es der Umweltbewegung und nicht zuletzt innovativen Zusammenhängen aus dem Jugendbereich, hier gelingt, integratives und katalytisches Element zu sein.
Zum Abschluß eine persönliche Frage. Woran arbeiten sie gerade? I
ch bin bemüht, auf überregionaler Ebene eine kontinuierliche Vernetzungsplattform im Bereich Umwelt und Entwicklung zu schaffen, also kirchliche Gruppen, Sportverbände, Gewerkschaftsjugenden, freie Initiativen etc.. Beim nächsten Treffen wird es schwerpunktmäßig einen Austausch über „Politikverdrossenheit“ geben. In diesem Zusammenhang versuche ich auch Nahtstellen zu schaffen zwischen regionalen Ansätzen „ anders wirtschaften und zusammenleben“ und der politischen bzw. umweltpolitischen Ebene, da hier gesamtgesellschaftlich und auch innerhalb der ökologischen Bewegung eklatante Durchblutungsstörungen bestehen. Ein weiter Schwerpunkt meiner Arbeit rankt sich um die Frage der ökologischen Steuerreform, u. a. hat hierzu vor kurzem ein Gespräch mit einer fraktionsübergreifenden Gruppe junger Bundestagsabgeordneter stattgefunden. Und ein bislang noch offener Wunsch von mir für die Zukunft ist eine stärkere Verbindung von Kunst und Ökologie, da die gemeinsame Kraft und Innovation hier meines Erachtens noch kaum entfaltet wurde.